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JUGHENT

Empirische Forschung für die Verortung und Weiterentwicklung der Jugendgerichtshilfe

Programm / Ausschreibung KIRAS, F&E-Dienstleistungen, KIRAS F&E-Dienstleistungen 2021 Status laufend
Projektstart 01.01.2023 Projektende 31.03.2025
Zeitraum 2023 - 2025 Projektlaufzeit 27 Monate
Keywords Jugendgerichtshilfe, Jugendgerichtsbarkeit, Jugendstrafrecht

Projektbeschreibung

Ein Großteil der Heranwachsenden begeht einmal Handlungen, die gegen Strafgesetze verstoßen, ohne dass daraus kriminelle Karrieren entstehen. Repressive Sanktionen und Maßnahmen darauf wirken eher kontraproduktiv, da sie sich in der Regel ungünstig auf Lebensperspektiven auswirken. Die meisten Jugendstrafrechtssysteme sehen daher Möglichkeiten vor, auf begangene Jugenddelikte mit Mitteln minimaler Intervention, erzieherischen Sanktionen oder sozialkonstruktiv-wiedergutmachenden Maßnahmen zu antworten. Die Wahl einer angemessenen Reaktionsform setzt Wissen über Persönlichkeit und Lebenslage der jungen Menschen voraus, wie es auch supranationale Regelwerke im Sinne des Kindeswohles fordern. In vielen Staaten übernehmen Hilfseinrichtungen die Aufgabe solches Wissen zu sammeln und aufzubereiten. In Österreich können die Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe (JGH) mit solchen Leistungen beauftragt werden, die in Wien auf eine sehr lange Tradition zurückblickt, in den Bundesländern jedoch erst 2015 eingerichtet wurden.

Die Arbeit der JGH genießt breite Anerkennung, bislang gibt es jedoch keine umfassenden empirischen Untersuchungen über deren Einbindung in Jugendstrafverfahren, über die Erfüllung von Ansprüchen und Erwartungen bzw. darüber was diese Leistungen bewirken. Das gegenständliche Forschungsvorhaben verfolgt das Anliegen diese Lücke zu füllen. Dazu gehören auch regionale Vergleiche, die unter anderem der Sonderstellung der Wiener JGH und ihren zusätzlichen Leistungen Rechnung tragen. Entsprechend der Komplexität des Forschungsgegenstandes wählt die Studie ein methodisch breit angelegtes Design, das sich verschiedener quantitativer und qualitativer Annäherungen bedient. Nach einer Bestandsaufnahme auf der Basis verfügbarer Daten wird eine Befragung von KlientInnen der JGH durchgeführt und werden fünf Standorte der JGH als Fallstudien vertiefend untersucht. Im Rahmen dieser Fallstudien werden Akten der involvierten Behörden und Einrichtungen ausgewertet, Interviews mit relevanten Akteuren geführt und ergänzende Erhebungen zu den jeweiligen regionalen, nicht zuletzt strukturellen Rahmenbedingungen durchgeführt. Schließlich werden im Zuge von Literaturrecherchen und Gesprächen mit VertreterInnen vergleichbarer Einrichtungen in EU Mitgliedsstaaten zusätzliche Orientierungsinformationen über andere Länder eingeholt.

Die mit der Summe der Erhebungen und Analysen angepeilten Ergebnisse erlauben eine fundierte Bewertung und Verortung der Leistungen der JGH. Nicht zuletzt sind sie aber auch darauf ausgerichtet substantielle Grundlagen für die Qualitätssicherung und mögliche Weiterentwicklungen einer Einrichtung anzubieten, die eine zentrale, besonders wichtige Funktion in der Jugendstrafrechtspflege wahrnimmt. Eine gute und entsprechend berücksichtigte Unterstützung der Entscheidungen der Jugendgerichte sollte Leid und die mögliche Verfestigung negativer Entwicklungen auf Seiten der betroffenen jungen Menschen verhindern können und zur allgemeinen Sicherheit beitragen.

Abstract

A large proportion of adolescents commit acts in violation of criminal laws at one time or another without developing criminal careers. Repressive sanctions and measures in response tend to have counterproductive effects, because of unfavorable impacts they most often have on life prospects. Most juvenile justice systems therefore provide options for responding to juvenile offenses through means of minimal intervention, educational sanctions, or social-constructive-reparative measures. The choice of an appropriate way of response presupposes knowledge about the personality and life situation of young people, like supranational regulatory frameworks also demand in terms of the best interests of the child. In many countries, support institutions take on the task of collecting and processing such knowledge. In Austria, such services can be entrusted to the institutions of the Juvenile Justice Assistance (JGH), which has a very long tradition in Vienna, but was only established in the provinces in 2015.
The work of the JGH enjoys broad recognition, but so far there are no comprehensive empirical studies on their involvement in juvenile criminal proceedings, on the fulfillment of claims and expectations, or on what these services achieve. This research project aims to fill this gap. This includes regional comparisons, which take into account the special position of the Vienna JGH and its additional services. In accordance with the complexity of the research object, the study chooses a methodologically broad design, which uses different quantitative and qualitative approaches. After an inventory based on available data, a survey of JGH clients is conducted and five JGH sites are examined in depth as case studies. Within the framework of these case studies, files of the authorities and institutions involved will be evaluated, interviews with relevant actors will be conducted, and supplementary surveys on the respective regional, not least structural, framework conditions will be conducted. Finally, additional orientation information about other countries is obtained in the course of literature research and discussions with representatives of comparable institutions in EU member states.
The results of these surveys and analyses will allow a well-founded evaluation and localization of the services provided by the JGH. Last but not least, they are also aimed at offering substantial bases for quality assurance and possible further developments of an institution that performs a central, particularly important function in the administration of juvenile justice. Good and appropriately considered support for the decisions of the juvenile courts should be able to prevent suffering and the possible consolidation of negative developments on the part of the young people concerned and contribute to general safety.

Endberichtkurzfassung

Kurfassung E-Call

JUGHENT

Empirischen Forschung zur Verortung und Weiterentwicklung der Jugendgerichtshilfe



Der vorliegende Bericht präsentiert die zentralen Ergebnisse des Forschungsprojekts JUGHENT zur empirischen Verortung und Weiterentwicklung der Jugendgerichtshilfe in Österreich.[1] Während für Wien seit über 100 Jahren eine eigene Jugendgerichtshilfe (JGH) besteht, hat erst das JGG-Änderungsgesetz 2015 die gesetzlichen Grundlagen für eine bundesweite JGH geschaffen. Ziel des Projekts war es nun, die Praxis der JGH nach ihrer Ausrollung auf das gesamte Bundesgebiet zu untersuchen, die Umsetzung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche zu analysieren und mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen sowie Entwicklungsbedarfe zu identifizieren.

In methodischer Hinsicht kombinierte die Studie sowohl quantitative als auch qualitative Verfahren. So wurde eine sekundärstatistische Auswertungen von Registerdaten ebenso durchgeführt wie eine qualitative Dokumentenanalyse von Gerichtsakten, eine Online-Befragung unter Klient:innen und eine Reihe an leitfadengestützten Expterteninterviews mit Richter:innen, Staatsanwält:innen, JGH-Mitarbeiter:innen und anderen relevanten Akteursgruppen.

Die Auswertungen zeigen ein überwiegend positives Bild; eine deutliche Mehrheit der Befragten ist mit der Aufgabenerfüllung der JGH „sehr zufrieden“. Die Berichte der JGH werden als „wahnsinnig wertvoll“ bezeichnet; man „schätze die Jugenderhebungen sehr“ und sei „froh“, dass es die JGH gibt. Zudem seien die Berichte „ausgezeichnet“ bzw von „sehr hoher Qualität“. In der vorherrschenden Sichtweise wird die JGH als „eine gute Einrichtung“ gesehen, die wichtige Informationen über den Hintergrund der Jugendliche“ liefere und „mit Sicherheit“ ihre gesetzliche Aufgabe erfüllt.

Die Registerdaten für die Jahre 2018 bis 2022 zeigen, dass die JGH in Österreich insgesamt 33.382 Personen betreut hat. Dabei handelt es sich bei rund 72% aller Tätigkeiten um Jugenderhebungen; rund 13% der Fälle sind Haftentscheidungshilfen, in 6,5% sind es Haftbetreuungen, in 5,6% Stellungnahmen zu Sozialnetzkonferenzen und in 2,2% aller Fälle wurde eine Vermittlung gemeinnütziger Leistungen vorgenommen. Als Teil des Aufgabenspektrums gelten auch Kriseninterventionen, diese werden aber offenbar nur sehr selten als solche dokumentiert.

Der Großteil aller Aufträge wird von der JGH dem gesetzlichen Auftrag entsprechend erledigt. Zu keiner Erledigung kam es mit 9% am häufigsten aufgrund mangelnder Kooperation von Klient:innen. Die Analyse der Daten zeigt zudem, dass eine Nicht-Erledigung mangels Kooperation vergleichsweise oft bei weiblichen Personen vorkommt.

Über die Analysen der Registerdaten wird weiters ersichtlich, dass die JGH im Fall der Jugenderhebungen in rund 53% der Fälle von gerichtlicher Seite beauftragt wurde. Diese übermäßige Beauftragung durch die Gerichte ist insofern bemerkenswert, als § 43 JGG vorsieht, dass Jugenderhebungen „ehestmöglich“ und daher im Regelfall durch die Staatsanwaltschaft beauftragt werden sollten.

Die Gründe dafür werden vor allem in einer fehlenden Sonderzuständigkeit für junge Erwachsene bei der Staatsanwaltschaft, analog zu den Jugendlichen, gesehen, oder in alten, junge Erwachsene nicht berücksichtigenden Formularen und Textmustern, was dazu beitragen würde, dass die Zuweisungen auf Seiten der Staatsanwaltschaften übersehen oder vergessen werden. Berichtet wurde auch von ausbleibenden Zuweisungen in Fällen, in denen Staatsanwaltschaften die Strafanträge relativ kurzfristig erstellen und dann der Auftragserteilung an die JGH offenbar keine weitere Aufmerksamkeit schenken. Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass die Jugenderhebungen bei jungen Erwachsenen mancherorts als weniger wichtig erachtet werden als bei Jugendlichen.

Wiewohl die Jugenderhebungen letztlich meist in Auftrag gegeben werden, gibt es doch auch Hinweise darauf, dass dieser Verpflichtung nicht immer nachgekommen wird. Dies mitunter auch, weil der JGH die Kapazitäten fehlen, die verantwortlichen Stellen daher bereits im Vorfeld von einer Beauftragung absehen. Eine zurückhaltende Zuweisungspraxis wird verschiedentlich auch auf der Ebene der Bezirksgerichte verortet. So wird von Standorten berichtet an denen zuständige Personen, vor allem zu Beginn der bundesweiten Ausrollung der JGH, wenig Interesse an den Jugenderhebungen zeigten.

Die Detailbetrachtung zeigt, dass es auch in den anderen Aufgabenbereichen der JGH verschiedene Verbesserungs- und Klärungsbedarfe gibt. Im Bereich der Haftentscheidungshilfen wird mitunter auf die organisatorische Hürde justizieller Online-Anmeldesysteme verwiesen, um einen Termin für Erhebungsgespräche zu buchen und Zugang in die betreffende Haftanstalt zu erlangen. In Anbetracht der knapp bemessenen Zeitressourcen der JGH wäre eine diesbezügliche Erleichterung hilfreich. Im Hinblick auf die Umsetzung der Erhebungen wird auch angemerkt, dass die Verfahrensautomation Justiz (VJ) zur Einholung relevanter Vorinformationen „sehr unübersichtlich“ strukturiert sei und zB eine Suchfunktion praktisch wäre, um relevante Details in elektronischen Akten besser zu finden.

Im Bereich der im JGG vorgesehenen Sonderzuständigkeit der Wiener JGH für die Haftbetreuung Jugendlicher und junger Erwachsener in der Justizanstalt Wien Josefstadt zeigt die Studie gewisse Friktionen aufgrund überschneidender Zuständigkeiten mit dem dortigen Jugenddepartment. Dem gegenständlichen Forschungsprojekt obliegt es nicht zu entscheiden, in welche Richtung dieser Konflikt aufzulösen ist. Es wird jedoch deutlich, dass derartige Zuständigkeitsüberschneidungen vermieden werden sollten, zumal damit die Gefahr ressourcenvergeudender Doppelstrukturen verbunden ist.

Weiters führt die, über eine verwaltungsinterne Weisung, als verpflichtend vorgesehene Teilnahme der JGH an Sozialnetzkonferenzen, lt Berichten zuweilen zu Irritation; dies insb, weil die Jugendgerichthilfe, abgesehen von der Haftbetreuung durch die Wiener JGH, keine betreuenden Tätigkeiten ausübt, sondern vor allem an die Gerichte und Staatsanwaltschaften berichten soll.

Klärungs- bzw Verbesserungsbedarf besteht offenbar auch an der Schnittstelle zur Kinder- und Jugendhilfe (KJH); lt den geführten Interviews komme es an manchen Standorten vor, dass die KJH keine mündliche Auskunft mehr erteilt, sondern verlangt, dass die Fragen schriftlich gestellt werden; dies führe in Folge wiederum zu Zeitproblemen.

Im Kern zeigt die Studie schließlich, dass die JGH an vielen Standorten unter Personalmangel leidet. Die Problematik der Personalressourcen gilt als wichtigster Punkt im Hinblick auf mögliche Verbesserungen und erforderliche Weiterentwicklungen der JGH. Aufgrund von fehlenden Ressourcen sei es zuweilen nicht möglich die Jugendlichen öfter zu laden, wenn sie beim ersten Mal nicht kommen (können); zudem könne die Personalknappheit dazu führen, dass die Erstellung der Berichte länger dauert. Teils sei man aufgrund des Personalmangels auch schlicht nicht in der Lage sämtlichen Aufträgen nachzukommen. Mitunter werden dann sog „Fehlberichte“ abgegeben, um die formal-rechtliche Vorgabe des JGG dennoch einzuhalten. Allenfalls wird auch eine Priorisierung vorgenommen, wobei vermeintlich „schwere Fälle“ vor „leichten Fällen“ sowie „Jugendliche“ vor „jungen Erwachsenen“ und „Haftsachen“ vor dem „Freifuß-Bereich“ bevorzugt werden. Zudem würde man differenzieren, ob es schon Vorberichte gibt und dann bei Wiederkehrern im Fall von Kapazitätsengpässen auf bereits bestehende Berichte zurückgreifen.

Darüber hinaus wird im Zusammenhang mit den Personalressourcen auch davon berichtet, dass es mitunter schwierig sei „Leute zu bekommen“ und ausgeschriebene Stellen nachzubesetzen; dies einerseits aufgrund der sozialarbeiterischen Tätigkeit im Gerichts- bzw Zwangskontext, welche unter den Sozialarbeiter:innen scheinbar weniger Ansehen genießt als andere Stellen; zum anderen aber auch aufgrund der schlechteren Bezahlung im Vergleich zu anderen Arbeitgebern der Branche. Dabei wird auch auf ungleiche und somit wettbewerbsbenachteiligende Bezahlschemata verwiesen.

Schließlich war im Zuge der Studie auch die Frage der Verwertung der JGH-Leistungen und ihre Wirkung für das weitere Verfahren von Interesse. Die Analyse der Registerdaten zeigt hierzu, dass es in Verfahren mit JGH-Involvierung tendenziell eher zu bedingten Freiheitsstrafen, teil- oder unbedingten Freiheitsstrafen sowie Schuldsprüchen unter Vorbehalt der Strafe kommt. Ein (mono-)kausaler Zusammenhang lässt sich daraus aus methodischer Sicht jedoch nicht ableiten. Mitunter liegen auch verschiedene weitere Stellungnahmen und Gutachten vor, in welchen professionsspezifische Empfehlungen ausgesprochen werden, die dem Gericht in der Entscheidungsfindung dienen. Aus der Aktenanalyse geht zudem hervor, dass nur in den seltensten Fällen in den Urteilen auch explizit auf den Bericht der Jugendgerichtshilfe verwiesen wird.

Dennoch wird in den Interviews im Hinblick auf den Aspekt der Resozialisierung die Meinung vertreten, dass die JGH letztlich dazu beitrage, ein besseres Verständnis über die Biografie und die Beweggründe von jugendlichen Straftätern zu erhalten, sodass im Zuge des Urteils nicht nur das Strafrecht, sondern die Gesamtsituation der Jugendlichen berücksichtigt werden kann. Zudem hätte man gerade bei Jugendlichen, die noch am Beginn ihres Lebenswegs stehen, viele Möglichkeiten, noch etwas zu verändern; wenn man die Entwicklungsgeschichte kennt, so eine JGH-Mitarbeiterin, würde man sehen, „kein Mensch wird böse geboren“.

In den Interviews wird dazu erklärt, dass die Jugenderhebungen insb der Spezialprävention iSv § 5 Z 1 JGG dienen. Die Informationen der JGH seien „spezialpräventiv notwendig“ , um die passenden Begleitmaßnahmen zu finden und den einzelnen Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Die Berichte der JGH hätten auch Einfluss auf Entscheidungsvarianten; so zB ob eine Form des diversionelles Vorgehens gem §§ 7 ff JGG oder ein Vorgehen nach § 13 JGG sinnvoll ist oder nicht. Auf Basis der Erhebungen der JGH könne besser gesehen werden, welche Weisung für den vorliegenden Fall passend ist.

In Zusammenschau der empirischen Ergebnisse aus den verschiedenen methodischen Verfahren, lässt sich im Hinblick auf die zentrale Forschungsfrage attestieren, dass es der JGH grundsätzlich sehr gut gelingt, den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Verbesserungsbedarf gibt es vor allem in den organisatorischen Rahmenbedingungen.

Zusammengefasst lassen sich auf Basis der empirischen Analysen die folgenden Ansatzpunkte für eine mögliche Optimierung und Weiterentwicklung der Jugendgerichtshilfe identifizieren:


Zunächst sind Bemühungen anzustellen, dass die verpflichtend vorgesehenen Jugenderhebungen tatsächlich auch beauftragt und durchgeführt werden. In den meisten Fällen passiert dies, aber offenbar nicht immer. Dies liegt mitunter auch an fehlenden Personalressourcen. Eine aus Kapazitätsgründen erfolgende Nicht-Beauftragung bzw Erledigung sollte einheitlich mit einem Fehlbericht bearbeitet werden. Damit würden fehlende Ressourcen transparenter und die Leistungsstatistiken der JGH-Einrichtungen besser vergleichbar.
Die verpflichtenden Jugenderhebungen gelten auch für junge Erwachsene. Eine nachrangige Zuweisung von jungen Erwachsenen zur Jugenderhebung sollte vermieden werden, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese weniger wichtig ist als im Fall von Jugendlichen. Organisatorischen Unzulänglichkeiten, die ein diesbezügliches „Übersehen“ fördern, wie zB fehlende Sonderzuständigkeiten für junge Erwachsene auf Seiten der Staatsanwaltschaften oder veraltete Formblätter bzw Formularmuster, sollte entsprechend begegnet werden.
Der festgestellte Überhang in der Beauftragung durch die Gerichte sollte organisatorisch reduziert werden. Die bereits vorgesehene Regelvariante der „ehestmöglichen“ Zuweisung zur Jugenderhebung durch die Staatsanwaltschaft sollte gefestigt und gestärkt werden. Sie spart Zeit und unterstützt damit auch die Erfüllung des Auftrages durch die JGH.
Eine zentrale Verbesserung wäre weiters die Beseitigung de r festgestellten Mängel im Bereich der Personalressourcen . Wichtig wäre diesbezüglich zB eine wettbewerbsfähige Anpassung der Bezahlung im Vergleich zu konkurrierenden Arbeitgebern bzw eine Vereinheitlichung der einschlägigen Bezahlschemata. Zudem wäre aber ganz allgemein auch einfach eine den praktischen Erfordernissen der JGH entsprechende Bereitstellung von Ressourcen sicherzustellen; dies nicht zuletzt auch im Bereich der Verwaltung.



Weiters sollten überschneidende Zuständigkeiten mit anderen Einrichtungen möglichst vermieden werden. Dies betrifft insb das festgestellte Spannungsverhältnis im Bereich der Haftbetreuung in Wien. Die vorliegende Studie obliegt es nicht zu entscheiden, in welche Richtung dieser Konflikt aufzulösen ist. Klar ist jedoch, dass die identifizierten Zuständigkeitsüberschneidungen der verschiedenen Dienste bzw Einrichtungen vermieden werden sollten, zumal damit die Gefahr ressourcenvergeudender Doppelstrukturen verbunden ist und das Spannungsverhältnis letztlich zu Lasten der zu betreuenden Klientel geht.



Zu überdenken wäre weiters, ob die verpflichtende Teilnahme der JGH an Sozialnetzkonferenzen sinnvoll ist. Die empirische Analyse zeigt, dass diese per Erlass vorgesehene Teilnahme, in der Praxis zuweilen zu Irritation führt; dies insb, weil die Jugendgerichthilfe, abgesehen von der Haftbetreuung durch die Wiener JGH, keine betreuenden Tätigkeiten ausübt, sondern vor allem an die Gerichte und Staatsanwaltschaften berichten soll.
Die Projektergebnisse zeigen, dass es in der Praxis offenbar zu einer uneinheitlichen Belehrung der ( beschuldigten) JGH - Klient:innen kommt. Es wird empfohlen der strafprozessrechtlichen sowie der datenschutzrechtlichen Compliance im Zuge der Erhebungsgespräche entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Es sollte sichergestellt werden, dass die Klient:innen gemäß den rechtlichen Erfordernissen belehrt werden. In diesem Sinne wäre von den verantwortlichen Stellen zu prüfen inwiefern die Klient:innen im Zuge der JGH-Erhebungen bspw auch über das Selbstbelastungsverbot gem § 164 StPO oder die mögliche Verwertbarkeit der Berichte in der Urteilsfällung iSv § 43 Abs 2 JGG in Kenntnis zu setzen sind. Dasselbe gilt für die Erfüllung der Informationspflichten gem § 43 DSG, wie zB die vollständige Nennung möglicher Empfängerkreise der JGH-Berichte oder den Hinweis auf bestehende Betroffenenrechte wie zB Berichtigungsansprüche etc. Die erforderlichen Belehrungen könnten infolge dokumentiert und von den Klient:innen im Zuge der Erhebungsgespräche (schriftlich) bestätigt werden.
Für eine etwaige Weiterentwicklung der JGH steht insb der Ausbau ihrer Leistungen zur Diskussion. So wird von verschiedenen Befragten eine altersbezogene Ausdehnung der Tätigkeiten (zB bis zum 24ten Lebensjahr) vorgeschlagen; auch eine inhaltliche (diagnostische) Vertiefung wird thematisiert.



Die Studie zeigt schließlich, dass die an den meisten Standorten bereits etablierte Kommunikationskultur zwischen Gerichtsbehörden und Jugendgerichtshilfe ein zentraler Faktor der Qualitätssicherung ist und daher gezielt gefördert und weiter ausgebaut werden sollte. Dies kann einerseits als Kooperationsinstrument zur Abstimmung organisatorischer Abläufe und Arbeitsprozesse, andererseits aber auch als Grundlage für regelmäßige Rückmeldungen zu den einzelnen Leistungen und Empfehlungen der JGH dienen.




Projektleitung:

Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Innsbruck



Projektpartner:

Bundesministerium für Justiz (BMJ)


Kontakt:

Dr. Walter Hammerschick
Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Innsbruck
Museumstraße 5/12
1070 Wien
Telefon: +43 512 507 – 73903
E-Mail: walter.hammerschick@uibk.ac.at
Homepage: https://www.uibk.ac.at/irks/



[1] Projekt: JUGHENT – Empirische Forschung für die Verortung und Weiterentwicklung der Jugendgerichtshilfe (FFG/KIRAS Projekt Nr: 43454967).