MEDIAS
Mediation als Instrument der Streitbeilegung und Konfliktlösung: Anwendungspraxis und Effekte
Programm / Ausschreibung | KIRAS, F&E-Dienstleistungen, KIRAS F&E-Dienstleistungen 2021 | Status | laufend |
---|---|---|---|
Projektstart | 01.03.2023 | Projektende | 30.09.2025 |
Zeitraum | 2023 - 2025 | Projektlaufzeit | 31 Monate |
Keywords | Mediation, alternative Streitbeilegung, Rechtsfrieden, Zivilgerichtsbarkeit, Konfliktprävention |
Projektbeschreibung
Die Zivilgerichtbarkeit stellt eine zentrale kritische Infrastruktur des demokratischen Rechtsstaates dar: 92% aller vor Gericht gebrachten Fälle entfallen auf Zivilsachen, nur 8% auf Strafsachen. Die Konfliktklärung über ein Gerichtsverfahren ist aber stets nur die ultima ratio. In bestimmten Konfliktfeldern und -konstellationen können alternative, konsensorientierte Verfahren wie Mediation nachhaltigere und dem Rechtsfrieden förderlichere Konfliktlösungen bieten und in der Folge zur Konfliktprävention beitragen. Deshalb hat der österreichische Gesetzgeber 2004 mit dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz (ZivMediatG) einen rechtlichen Rahmen für Mediation im Zivilrechtsbereich geschaffen.
Mit dem Forschungsvorhaben MEDIAS sollen erstmals für Österreich systematische und aussagekräftige empirische Daten zur Anwendungspraxis, Qualität und Wirksamkeit außergerichtlicher Mediation gemäß ZivMediatG gewonnen werden. Die Studienergebnisse bieten die Basis für eine evidenzbasierte Weiterentwicklung mediativer Verfahrens der Konfliktvermittlung und der rechtlichen Rahmenbedingungen. Wichtig ist dabei auch, das Wechselverhältnis zwischen Mediation und Zivilgerichtsbarkeit zu analysieren. Die Studie erforscht, inwieweit und unter welchen Umständen aus mediativen Verfahren strukturelle Gefährdungen für die Konfliktparteien, die staatliche Gerichtsbarkeit als kritischer Infrastruktur sowie das österreichische Rechtssystem erwachsen können. Sie untersucht zugleich Erfahrungen mit gerichtsinterner Mediation in Österreich, die dzt. noch nicht rechtlich verankert ist. Die empirischen Ergebnisse sollen zu einem förderlichen Ergänzungsverhältnis zwischen mediativen Verfahren der Streitbeilegung und der Rechtskontrolle durch staatliche Zivilgerichte beitragen.
Die Forschungsziele werden durch einen komplexen Forschungszugang (Between-Method-Triangulation) erreicht. Unterschiedliche quantitative und qualitative Methoden werden im Sinne einer wechselseitigen Ergänzung mehrfach miteinander verschränkt. Die gewonnen Ergebnisse werden systematisch und praxiswirksam zentralen Stakeholdern vermittelt.
Abstract
Civil jurisdiction represents a crucial critical infrastructure of the democratic constitutional state: 92% out of all cases taken to court are civil matters, only 8% are criminal cases. However, resolving conflicts through lawsuits is always only a measure of last resort. In certain conflict areas and constellations, alternative, consensus-oriented procedures such as mediation can offer more sustainable conflict resolutions that are more conducive to legal peace and subsequently contribute to conflict prevention. Therefore, the Austrian legislator has put in place a legal framework for mediation in the field of civil law in 2004, the Austrian Act on Mediation in Civil Matters (Zivilrechts-Mediations-Gesetz, ZivMediatG).
The MEDIAS research project aims to obtain systematic and meaningful empirical data on the application practice, quality and effectiveness of out-of-court mediation in accordance with the ZivMediatG for the first time in Austria.
The study results provide the foundation for an evidence-based advancement of mediative procedures of conflict mediation and the legal framework. In this context, it is also important to analyze the interrelationship between mediation and civil jurisdiction. The study investigates to what extent and under what circumstances mediative procedures can pose structural risks for the conflict parties, the state jurisdiction as critical infrastructure, and the Austrian legal system. It also investigates experiences with intra-court mediation in Austria, which is not yet legally anchored. The empirical findings are intended to contribute to a beneficial complementary relationship between mediative dispute resolution procedures and judicial control by state civil courts.
The research objectives are achieved through a complex research approach (between-method triangulation). Various quantitative and qualitative methods are interlinked repeatedly in the sense of a mutual complementation. The results obtained are communicated to central stakeholders in a systematic and practice-oriented manner.
Endberichtkurzfassung
In Österreich wurde 2004 mit dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz (ZivMediatG) vergleichsweise früh ein rechtlicher Rahmen für Mediation in Zivilrechtssachen geschaffen. Die gesetzlichen Regelungen sollen zur Qualitätssicherung von Mediation, einem international anerkannten Verfahren der konsensorientierten Konfliktlösung, beitragen. Bis dato fehlte für Österreich allerdings systematisches Wissen über die Nachfrage und Akzeptanz von Mediation sowie über Verfahrens- und Ergebnisqualität als auch Wirksamkeit der durchgeführten Mediationen. Die am Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Universität Innsbruck durchgeführte KIRAS-Studie MEDIAS generierte erstmals österreichweit empirische Daten dazu.
Die Studienergebnisse verdeutlichen zunächst, dass nur ungefähr die Hälfte der Menschen in Österreich weiß, was Mediation ist (51,3%). Knapp jede zweite Person kennt Mediation entweder eindeutig nicht (27,8%) oder es bestehen aufgrund inkongruenter Antworten sehr große Zweifel, dass diese Form der Konfliktlösung tatsächlich bekannt ist (21,0%). Bildung erweist sich in den multivariaten Analysen als der stärkste Einflussfaktor auf die Bekanntheit von Mediation: Menschen mit geringerer Formalbildung kennen diese Form der Konfliktvermittlung signifikant weniger oft.
Um valide Daten zu Mediationserfahrungen zu gewinnen, wurde in der Bevölkerungsbefragung ein dreiteiliges Verfahren gewählt, das über Kontrollschritte die Zuverlässigkeit der Antworten absicherte. Auf die Gesamtstichprobe bezogen lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass in etwa 4,7% der österreichischen Bevölkerung bereits Mediation in Anspruch genommen haben (Schwankungsbreite: +/- 1%). Es handelt sich also keinesfalls um ein verbreitetes Verfahren der Konfliktlösung. Die Studienergebnisse unterstreichen, dass geringe kulturelle (Bildung) und ökonomische Ressourcen die Nutzung von Mediation erschweren, wobei für letzteren Aspekt noch vergleichsweise leichter Abhilfe durch adäquate Mediationsförderungen geschaffen werden kann. Die geförderte Familienmediation („FLAG-Mediation“) wird in den qualitativen Fallstudien wiederholt als wirksame Maßnahme erkennbar, die den Zugang erleichtert. Solche vom Einkommen abhängige finanzielle Fördermodelle gilt es auch für anderen Konfliktbereiche zu prüfen.
Der Weg in die Mediation scheitert oft daran, dass nicht alle Konfliktbeteiligten bereit dazu sind, sich auf diese konsensorientierte Form der Konfliktvermittlung einzulassen. Im Austausch mit der Fachpraxis zur kooperativen Wissensbildung in der letzten Projektphase wurde darauf verwiesen, dass durch getrennte Informationsgespräche vorab manchmal ausreichend Vertrauensaufbau geleistet werden kann, sodass sich die Konfliktparteien doch auf einen gemeinsamen Mediationsprozess einlassen.
Gelingt es nicht, beide bzw. alle Konfliktparteien für einen Mediationsprozess zu gewinnen, bleibt die Möglichkeit, eine Partei bzw. die Parteien einzeln (durch verschiedene Mediator:innen) beim Umgang mit dem Konflikt zu coachen. Diese Tätigkeit des Konfliktcoachings auch in das Berufsbild von Mediator:innen bzw. in die rechtliche Grundlage des ZivMediatG zu integrieren, wurde von der Fachpraxis im Austausch eingefordert. Auch auf diesem Wege könnten sich in der Folge Potenziale für eine anschließende gemeinsame Mediation eröffnen, für deren Durchführung an andere Mediator:innen weiterzuvermitteln wäre.
Die niedrige Nachfrage erschwert einerseits eine nachhaltige Etablierung des Berufsfeldes der Mediation, andererseits macht es dessen strukturell geringe Institutionalisierung für Mediationswillige auch schwerer, diese Dienstleistung tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Das zeigt sich in den vorliegenden Studienergebnissen vor allem darin, dass der Weg zu Mediator:innen häufig über Empfehlungen aus dem persönlichen Umfeld führt – oder auch überraschend oft nicht zu gelingen scheint. Die Studienresultate verweisen auf relativ niederschwellige „Türöffner“ in die Mediation – und teils auch zu konkreten Mediator:innen. Exemplarisch wären hier etwa Allgemeinmediziner:innen, unterschiedliche professionelle Beratungsstellen bei Konflikten, die ihrerseits niederschwellig erreichbar sind, Psychotherapeut:innen o.ä. zu nennen.
Das Berufsfeld der Mediation steht vor der Notwendigkeit, sich systematisch um Nachwuchsförderung zu bemühen. Der größte Hemmschuh dafür ist sicherlich die nach wie vor geringe Nachfrage nach Mediationsdienstleistungen, durch die die Möglichkeiten stark begrenzt sind, mit dieser Tätigkeit alleine den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dieses Problem lässt nur schwer aus der Welt schaffen, umso wichtiger erscheinen Ansätze bzw. Initiativen auf Seiten der Mediationsvereinigungen zur Unterstützung frisch ausgebildeter Mediator:innen beim Einstieg in die Berufstätigkeit.
Generell verweisen die Studienergebnisse darauf, dass Supervision und Intervision als wichtige Reflexionsformate zur Qualitätssicherung für das berufliche Handeln in (psycho-)sozialen Berufsfeldern aktuell in der Mediation nur unzureichend verankert sind. Für die strukturelle Absicherung qualitativ hochwertiger Mediationsdienstleistungen ist es empfehlenswert, den obligatorischen Charakter von Inter- und Supervision rechtlich bzw. in den begleitenden Regelungen zu stärken.
Rechtsanwält:innen bescheinigen sich selbst mehrheitlich nur begrenztes oder kein (nennenswertes) Wissen über Mediation. Auch wenn nur ein kleinerer Teil der Anwält:innen Mediation explizit und pauschal ablehnt, zeigt sich in den statistischen Analysen, dass geringes Wissen wiederholt mit einer stärker ablehnenden Haltung Mediation gegenüber einhergeht. Entsprechend ließe sich an einer Verbesserung der Wissensbasis ansetzen, um auch die Akzeptanz dieser Form der Konfliktlösung unter Rechtsanwält:innen zu erhöhen. Wie dies zu erreichen ist, bleibt dabei die schwierigere Frage, Aus- und Fortbildungen sind in der Regel die „üblichen Verdächtigen“ unter möglichen Ansatzpunkten.
Innerhalb der Richterschaft zeigt sich in den Ergebnissen eine relativ große Bereitschaft zu höherer Durchlässigkeit von einem Gerichtsverfahren in die Mediation, etwa durch dem Gerichtsverfahren vorgeschaltete Informationsgespräche über Mediation oder ausgebaute Möglichkeiten, während eines Verfahrens eine Mediation anzuregen. Es ist deshalb zu empfehlen, solche Möglichkeiten zu prüfen und – unter Wahrung der Freiwilligkeit für die involvierten Konfliktparteien – zu fördern sowie in die Verfahrensgesetze entsprechend zu integrieren.
Zudem bekräftigt auch die Studie MEDIAS im Einklang mit den Ergebnissen der Studie zu Einigungsverfahren (vgl. Mayrhofer/Koller 2025), dass Mediation oder mediationsähnliche Verfahren als optionale Form der Konfliktbehandlung an Gerichten selbst – ähnlich dem deutschen Güterrichterverfahren oder dem Projekt Einigungsverfahren – seitens der befragten Richter:innen mit deutlicher Mehrheit begrüßt wird und deshalb eine österreichweite Implementierung solche Ansätze anzuregen ist, wobei auch hier wieder die freie Wahlmöglichkeit des Verfahrens durch die Konfliktparteien zu gewährleisten ist.
Alle befragten Berufsgruppen – Mediator:innen, Richter:innen, Rechtsanwält:innen – sehen im Rahmen der aktuellen Regelungen einen problematischen Punkt daraus erwachsen, dass bei erfolgloser Mediation Informationen aus derselben von den Parteien für die Fortführung des Gerichtsverfahrens genutzt werden könnten (kein Beweisverwertungsverbot, …). Einer klareren Regelung der Vertraulichkeit in Bezug auf ein eventuell anschließendes Gerichtsverfahren kommt demnach große Bedeutung bei der Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen Gerichts- und Mediationsverfahren zu.[1]
In Bezug auf die vom BMJ geführte Liste eingetragener Mediator:innen erscheint eine Prüfung empfehlenswert, wie darüber noch besser qualitätsvolle Mediation sichergestellt bzw. sichtbar gemacht werden kann. Als besonderes Problem wird von der Fachpraxis häufig thematisiert, dass in der „Liste“ auch Personen mit Mediationsausbildung eingetragen sind, die faktisch noch keine tatsächliche praktische Mediationserfahrung vorweisen können, ohne dass dies für die Suchenden ersichtlich wäre. Diesem Erfahrungswissen wird aber große Bedeutung für die Qualität der Mediation zugesprochen. Ein Ansatz für eine größere Transparenz und Qualitätssicherung in dieser Hinsicht könnte ein dem Berufsfeld der Psychotherapie entlehntes Phasenmodell beim Einstieg in die Mediationstätigkeit sein, durch das frisch ausgebildete Mediator:innen in einer zu definierenden Einstiegsphase als „in Ausbildung unter Supervision“ ausgewiesen würden. Dafür bräuchte es auch auf Ausbildungsebene entsprechende Anpassungen.
In rechtlicher Hinsicht erscheint es darüber hinaus empfehlenswert, die aktuelle Beschränkung des Zivilrechts-Mediations-Gesetzes auf Konflikt zu Zivilrechtssachen zu diskutieren, da dadurch mediationsrelevante Konflikte, für deren Entscheidung nicht die ordentlichen Zivilgerichte potenziell zuständig sind (und die zugleich auch nicht unter das Strafrecht fallen), möglicherweise rechtlich nicht ausreichend abgedeckt werden.