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DigitRes

Digital unterstützte Resozialisierung im Strafvollzug

Programm / Ausschreibung KIRAS, F&E-Dienstleistungen, KIRAS F&E-Dienstleistungen 2021 Status abgeschlossen
Projektstart 01.11.2022 Projektende 31.12.2024
Zeitraum 2022 - 2024 Projektlaufzeit 26 Monate
Keywords Digitalisierung, Resozialisierung, Strafvollzug

Projektbeschreibung

Auch wenn der Straf- und Maßnahmenvollzug in Österreich heute nicht gänzlich „offline“ ist und verschiedene seiner Bereiche wie etwa die Insassenverwaltung zunehmend digitalisiert werden, sind die Inhaftierten selbst vom Zugang zum Internet und zu modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) weitgehend ausgeschlossen. Je mehr sich unsere Gesellschaft zu einer digitalen Informationsgesellschaft entwickelt, umso dringlicher wird die Frage, wie auch Inhaftierten Zugang zu IKT gewährt werden kann, ohne die Sicherheit in den Anstalten, aber auch in der Gesellschaft zu gefährden. Digitalisierung in Haft birgt Risiken, eröffnet aber auch Chancen, denn sie verbessert die digitale Kompetenz der Inhaftierten, unterstützt ihre Resozialisierung und fördert Inklusion. Ziel des Projekts ist es daher, Grundlagen für eine sinnvolle und sichere Ausweitung des Zugangs von Inhaftierten bzw. Untergebrachten zum Internet und zu modernen IKT zu erarbeiten. Dazu werden erstens die Bedarfe der Inhaftierten, die auch für ihre Resozialisierung relevant sind, erhoben; zweitens werden die Auswirkungen einer solchen Ausweitung auf das System Strafvollzugs untersucht; drittens soll ein in Zusammenarbeit mit dem Bedarfsträger entwickeltes Modellprojekt, bei dem ausgewählten Inhaftierten kontrollierter Zugang zum Internet bzw. zu IKT gewährt wird, sozialwissenschaftlich begleitet und die in der Begleitforschung gewonnenen Erkenntnisse für die Übertragung auf andere Anstalten auf-bereitet werden. Sämtliche empirische Ergebnisse liefern schließlich anwendungsorientierte Grundlagen für einen Zugang zu IKT in Haft, der die Erfüllung des Bildungs- und Resozialisierungsauftrags sowie des Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsbedürfnisses der Inhaftierten berücksichtigt, aber auch dem Abschließungsgrundsatz und Sicherheitserfordernissen gerecht wird. In einem Maßnahmenkatalog wird schließlich zusammengefasst, wie das Wissen aus dem Modellprojekt für den Strafvollzug insgesamt nutzbar gemacht und der Alltag der Inhaftierten so digitalisiert werden kann, dass resozialisierende Aspekte gestärkt werden.

Abstract

Even though the prison system in Austria is not entirely "offline" and various areas such as the inmates’ administration are increasingly being digitized, prisoners themselves are largely excluded from the internet and from modern information and communication technology (ICT). As our society evolves into a digital information society, there is an increasing demand of developing ways in which inmates can be granted access to modern ICT without putting security in prisons, but also in society, at risk. Digitization in prison entails risks, but also opens up opportunities, as it improves the digital competence of detainees, supports their rehabilitation, and promotes inclusion. Therefore, the aim of the project is to provide scientific knowledge in order to grant prisoners a secure access to the internet and to ICT. To this end, firstly, a needs-based analysis will be carried out, following the perspective of the inmates and focusing on their rehabilitation; secondly, the effects of such an expansion on the prison system will be examined; and thirdly, an innovative pilot project, in which selected inmates are granted access to ICT, will be accompanied by sociological research focusing on the rehabilitative potential of such an innovation. The project builds on national and international expertise and provides primary data on the situation in Austria. For the detailed planning of the pilot project the perspectives of the inmates and the perspective of the prison system are brought together. Based on the empirical findings of all work packages, including the scientific monitoring of the pilot project, we will present a synopsis of the results and a catalogue of measures for a secure access to ICT in prison that meets educational and rehabilitation purposes as well as the need for information, communication, and entertainment.

Endberichtkurzfassung

Das Projekt DigitRes setzte sich zum Ziel, wissenschaftlich fundierte Grundlagen für eine sichere, am Resozialisierungsziel orientierte Digitalisierung des Straf- und Maßnahmenvollzugs in Österreich zu erarbeiten. Der Fokus lag dabei auf dem Zugang von Inhaftierten zu digitalen Geräten, Services und Inhalten, die Resozialisierung fördern, indem sie Bildung und Information, mehr Selbstbestimmung sowie soziale Kontakte ermöglichen. Während international immer mehr Digitalisierung in Form von Haftraummediensystemen ermöglicht wird, haben Inhaftierte in Österreich derzeit kaum legalen Zugang zu Services dieser Art.

Das Projekt startete mit einer Erhebung des Bedarfs unter Inhaftierten. Dazu wurden 35 Inhaftierte und vier aus langen Haftstrafen entlassene Personen in qualitativen Interviews zu ihren Erfahrungen mit digitalen Technologien und diesbezüglichen Bedürfnissen bzw. Erwartungen befragt. Die Inhaftierten wünschten sich zum einen mehr Zugang zu Bildung und Information – Rechtsinformation, länderspezifische Nachrichten, allgemeine Informationen zu Sport, Gesundheits- und Ernährungsthemen, aber auch (Aus-)Bildungsunterlagen z.B. für die Lehrabschlussprüfung. Zum anderen erhoffte man sich von einer Ausweitung der Digitalisierung auch erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten mit Familie und Freunden über (Video-)Telefonie oder E-Mail. Auch die digitale Verwaltung von Ansuchen und Beschwerden wurde mehrheitlich begrüßt, ebenso wie mehr Möglichkeiten, selbst an der Entlassungsvorbereitung mitzuwirken. Langzeitinhaftierte berichteten von zum Teil immensen Problemen dabei, sich nach der Entlassung in einer digitalisierten Informationsgesellschaft zurechtzufinden.

In 15 Experteninterviews und einer Online-Befragung des Strafvollzugspersonals (n= 603) wurden die Chancen und Risiken einer Ausweitung der Insassen-Digitalisierung erhoben. Insgesamt gab es mehr Zustimmung als erwartet. Bei der Justizwache bestand jedoch zugleich ein sehr hohes Risikobewusstsein. Die in den Justizanstalten tätigen Fachdienste stehen der Ausweitung des Zugangs zu digitalen Services für Inhaftierte sehr positiv gegenüber. Es gibt Bereiche, in denen der Digitalisierung von allen Befragten viel positives Potential attestiert wird, nämlich beim Thema Ausbildung und E-Learning, Kommunikation mit fremdsprachigen Insassen sowie Entlassungsvorbereitung. Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist auch für mehr legale Kommunikationsmöglichkeiten mit Familie und Freunden.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde ein Pilotprojekt in einer oberösterreichischen Justizanstalt umgesetzt, bei dem rund 70 Insassen auf drei Abteilungen Zugang zu unterschiedlichen Geräten im Haftraum bzw. zu einem am Gang platzierten Terminal erhielten. Auf Basis der Erfahrungen aus dem Pilotprojekt wurde ein Maßnahmenkatalog erstellt, der dem Bundesministerium für Justiz nun als Grundlage für weitere Digitalisierungsmaßnahmen dienen soll.

Das Pilotprojekt hat gezeigt, dass die Implementierung von Digitalisierungsmaßnahmen im Strafvollzug sehr herausfordernd ist. Auch wenn die Digitalisierung z.B. der Ansuchen grundsätzlich eine Arbeitserleichterung für das Personal darstellen kann, ist sie zu Beginn mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden. Damit die Implementierung gelingt, braucht es zusätzliche Personalressourcen für die IT in den Justizanstalten. Im Pilotprojekt konnte die Digitalisierung des Ansuchenwesens letztlich nur teilweise umgesetzt werden, weil innerhalb der Justiz Personalressourcen fehlten. Um die Akzeptanz der Digitalisierungsmaßnahmen beim Personal und den Inhaftierten zu fördern, braucht es zudem Schulungen und laufende Betreuung. Das Projekt hat auch gezeigt, dass ein Kiosk mit den im Pilotprojekt angebotenen Services wenig attraktiv ist, insbesondere wenn diese nicht voll funktionsfähig sind.

Zentraler Mehrwert des Pilotprojekts war die Zugänglichkeit der E-Learning Plattform ELIS sowie eines für das Projekt erstellten Intranets im Haftraum. Diese Services wurden gerne und intensiv genützt und stellten eine echte Bereicherung für die Inhaftierten dar, die nun auch abends und am Wochenende auf Lehrunterlagen, Kurse oder Mediatheken zugreifen konnten. Auch das Abfragen des Kontostandes wurde gerne genützt, ermöglichte es doch etwas Autonomie im fremdbestimmten Haftalltag.

Weitere Features, die im Rahmen einer stufenweisen Implementierung noch installiert werden sollen, sind eine Übersetzungsfunktion, Office-Programme nebst einer personalisierten Dateiablage sowie, nach Maßgabe der Rahmenbedingungen, die Möglichkeit, über ELIS-Mail mit ausgewählten Empfängern per E-Mail zu kommunizieren. Für die Inhaftierten ist diese Kommunikation zentral, bietet sie doch nicht nur die Möglichkeit, mit Familie und Freunden im Austausch zu bleiben. Eine E-Mailadresse eröffnet auch neue Möglichkeiten bei der Nutzung externer Bibliotheken sowie eine selbständigere Entlassungsvorbereitung, etwa durch den direkten Kontakt mit der Bewährungshilfe.