Zum Inhalt

Orthomatics

Modelling System für Orthesen

Programm / Ausschreibung IWI 24/26, IWI 24/26, Basisprogramm Ausschreibung 2025 Status laufend
Projektstart 01.10.2024 Projektende 30.09.2025
Zeitraum 2024 - 2025 Projektlaufzeit 12 Monate
Keywords

Projektbeschreibung

Während viele medizinische Bereiche in den letzten Jahren bereits eine zunehmende Digitalisierung erfahren haben setzt der Bereich der Orthopädietechnik derzeit immer noch auf manuelle Maßanfertigungen getrieben von Expert*innenwissen. Generell ist der Bereich der computergestützten Diagnostik und Therapie, z.B. in der Radiologietechnologie oder Operationsplanung, derzeit in Europa aber auch speziell in Österreich noch unterrepräsentiert. Die Firma Wako3D strebt nun mit diesem Forschungsvorhaben einen Digitalisierungssprung in der Orthopädie im Sinne der Industrie 4.0 an. Aktuell obliegt es dem Orthopädietechniker mit seinem domänenspezifischen Expert*innenwissen die Orthesen auf Basis von Erfahrung und manuellem Anpassen zu designen und herzustellen. Zukünftig soll ein selbstlernendes Vorschlagssystem mit automatisiertem patientenspezifischen Orthesen-Design hier zu einer maßgeblichen Prozessautomatisierung im Bereich der Orthopädie führen. Letztlich ist die Interaktion mit der Orthese maßgeblich für die Steigerung der Lebensqualität des Patienten, die ja das letztgültige Ziel der meisten orthopädischen Behandlungen ist. Hier ist eine besondere Herausforderung, dass sich der Körper des Patienten während der Behandlung laufend ändert, was oft sogar ein erwünschtes Resultat ist. Dadurch ist eine ständige Anpassung der Passform der Orthese unvermeidlich. Der Tragekomfort und die Passgenauigkeit der Orthese werden bisher letztlich von Patient*innen selbst beurteilt. Somit werden Probleme beim Sitz der Orthese oft erst erkannt, wenn schon gravierende Schäden wie Blutergüsse oder Schürfungen aufgetreten sind. Dies führt zu dem Schluss, dass ein dauerhaftes automatisiertes Monitoring der Interaktion zwischen Orthese und Patient erforderlich ist. Dies kann eine intelligent digitalisierte Orthese im Sinne des vorliegenden Projekts erstmals leisten. Es gibt vielerlei Behandlungen, in denen die Orthese gezielt Druck auf bestimmte Körperstellen ausüben soll, um speziell in der Wachstumsphase von Kindern Fehlstellungen des Skeletts zu korrigieren (z.B. Skoliose, Kielbrust, Heimtherapie). Hier fehlt bisher eine Methode, um den während der Behandlung erfolgenden Druck zu quantifizieren. Die digitalisierte Orthese als Zielstellung dieses Projekts kann während der gesamten Therapie den ausgeübten Druck exakt messen und so den Ablauf der Behandlung objektivieren. Sowohl für die medizinische Forschung als auch für die Kontrolle des Behandlungsablaufs wäre die Verfügbarkeit solcher Daten ein großer Durchbruch. Geplante Lösung und Nutzen: Eine zentrale Basis für die Prozessautomatisierung zur Fertigung der Orthesen wurde bereits in einem Vorprojekt mit einem hochpräzisen Körperscan unter Berücksichtigung der lagebedingten Deformation von Haut und Gewebe geschaffen. Auf Basis dieser hochpräzisen 3D-Oberflächenmodelle der Patientenanatomie soll auf Basis von wenigen Kennziffern (Alter, Gewicht, Geschlecht, Größe,...) sowie der Orthesenspezifikation (Körperteil, Winkel etc.) mittels selbstlernendem Vorschlagssystem die automatisierte Auswahl des idealen Orthesen-Materials bzw. Rohlings erfolgen. Ein vorausgewähltes Orthesenmodell wird dabei auf Basis der Kennziffern adaptiert und mittels elastischer Registrierung an die Ziel-Anatomie angepasst. Bei diesem Fertigungsprozess gilt es die Struktur des Materials (Dicke, Belas¬tungslimits sowie strukturelle Integrität) zu konservieren und auch rigide Halterungen, z.B. für Prothesen¬ Cover, Verschlussstellen oder Sensor-Halterungen vorzusehen, die beim Anpassungsprozess positionsgenau verharren müssen. Durch das Applizieren von großflächig verbauten, ultradünnen und frei formbaren Sensornetzen kann bei der Anprobe quantitatives Feedback gesammelt werden, welches auch für das Vorschlagssystem relevant ist. Diese Sensornetze ermitteln räumlich aufgelöst den Druck zwischen Patienten und Orthese und erlauben somit eine verbesserte Anpassung. Um sicherzustellen, dass die Patienten nur mit passenden Materialien in Kontakt kommen, wird das Sensornetz nach der Applikation mit einem geeigneten weichen Lack eingegossen. Durch die geringe Dicke und die Durchlässigkeit wird so eine homogene, weiche und drucksensitive Oberfläche der Orthese geschaffen sowie eine gute mechanische Verbindung zwischen Sensoren und Orthese erreicht. Die minimale und gleichmäßige Beschichtung ist im Vorschlagssystem leicht zu berücksichtigen. Im weiteren Verlauf des Projekts wird die Eignung des Sensorkonzepts für den dauerhaften Einbau in die Orthese zur laufenden Überwachung der Passform und des Fortgangs der Therapie geprüft. Ebenso wird das Sensornetz mit Messpunkten für Temperatur und Feuchtigkeit ergänzt, um Problemen durch Reibung oder Schweißansammlungen vorzubeugen. Eine kompakte und batteriebetriebene Ausleseelektronik ist vonnöten, um Langzeitmessungen im Einsatz vorzunehmen. Passende Schnittstellen und Auswertesysteme sind zu entwickeln, um die gemessenen Daten zu verwalten und sinnvoll zu visualisieren. Forschungsinhalte und Zielsetzung: Zentrale Forschungsinhalte sind die prototypische Umsetzung eines selbstlernenden Expertensystems auf Basis von Kennziffern der Patient*innen sowie Feedback durch großflächig applizierte Sensorik. Für die Orthesenfertigung umfasst die Prozessautomatisierung die Auswahl des passenden Materials, Rohlings sowie die physikalisch und anatomisch korrekte Anpassung an den Scan der Patient*in. Die Anpassung für den 3D Druck umfasst hierbei sowohl elastische Transformation für die korrekte Passform als auch statische Halterungselemente sowie einen Multi-Komponenten-Druck, um etwa Schuheinlagen als Haltungskorrektiv direkt mit der Orthese verbunden fertigen zu können. Die Zielsetzung für die Sensoranwendung ist im ersten Projektjahr einen Prototyp eines dünnen und durchlässigen Netzes aus Drucksensoren zu entwickeln, welches auf der Oberfläche einer komplexen 3D gedruckten Orthese appliziert und mit einem für den Patientenkontakt geeigneten, weichen Lack eingegossen und fixiert werden kann. Folgende Zielparameter werden hierbei angestrebt:
• Maximale Rasterweite des Sensornetzes: 20mm
• Minimale Anzahl der Sensorpunkte im Netz: 25
• Maximale Dicke des Sensornetzes: 0,5mm
• Permeabilität des Sensornetzes mindestens 50%
• Minimale Verformbarkeit der Netzverbindungen: 25%
• Minimaler Druckmessbereich: 0.2 - 20 N
• Minimale Auflösung der Druckmessdaten: 12 Bit
• Maximale Dauer eines Auslesevorgangs: 500 ms
In den folgenden Projektjahren wird neben der Verbesserung der obigen Parameter die Funktionalität des Sensornetzes um Temperatur- und Feuchtesensoren erweitert, eine kompakte Ausleseelektronik entwickelt und die Softwareinfrastruktur zur Visualisierung und Verwaltung der gemessenen Daten konzipiert. Spezieller Fokus hierbei liegt auf der automatischen räumlichen Korrelation der Sensorpunkte zur Orthese und dem Körper des Patienten. Erst mit dieser Übertragung werden die Sensordaten für die Anpassung der Orthese und die Überprüfung des Behandlungserfolges praktisch anwendbar. Detaillierte Inhalte siehe FFG Projektantrag. Für das Projekt gilt folgender Zeitplan:
Projektjahr 3 - 1. Oktober 2023 bis 30. September 2024:
• AP1 - Projektmanagement (01.2022 bis 01.2026)
• AP2 - Anforderungsanalyse und Konzeption (01.2022 bis 10.2022)
• AP3 - Systemdesign und -Architektur (03.2022 bis 01.2023)
• AP4 - Einbau und Evaluierung der Sensornetze (03.2022 bis 10.2025)
• AP5 - Konfiguration Orthesen-modelle & Vorschlagsystem (07.2022 bis 10.2024)
• AP6 - Registrierung und elastische Orthesen- Formanpassung (10.2022 bis 01.2025)
• AP7- Physikalische und sensorische Analytik (07.2023 bis 01.2026)
• AP8- Praxistests mit Patient*innen (10.2023 bis 01.2026)
• AP9- HCI, Usability und Optimierung (07.2024 bis 01.2026)
• AP10- Evaluierung und Tests (07.2022 bis 01.2026)
Details zu den Aktivitäten und Arbeitspaketen können den beiliegenden Kostenplänen und dem FFG Basisantrag (Kapitel 6 -Arbeits- und Zeitplan) entnommen werden.

Endberichtkurzfassung

Im vierjährigen Forschungsprojekt Orthomatics konnten die ursprünglich gesetzten Ziele in weiten Teilen erfolgreich erreicht werden. Das Projekt verfolgte das übergeordnete Ziel, orthopädietechnische Versorgungsprozesse durch den Einsatz digitaler Technologien zu automatisieren und dadurch die Effizienz, Präzision und Individualisierbarkeit von orthopädischen Hilfsmitteln deutlich zu verbessern. Zentrales Ergebnis ist die Entwicklung der Softwareplattform AIDDDO, die als integratives System sowohl den Prozess der Datenerfassung, als auch die Modellierung, Anpassung und Auswertung orthopädischer Behelfe digital abbildet.

Bereits in den frühen Phasen des Projekts wurde der Fokus auf eine praxisnahe und interdisziplinäre Umsetzung gelegt. In enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen, orthopädietechnischen Betrieben und Industriepartnern entstand ein funktionsfähiger Prototyp, der die Grundlage für eine künftige Marktreife bildet. Die gewählte agile Vorgehensweise ermöglichte es, Anforderungen aus der Praxis laufend zu integrieren und technische Entwicklungen flexibel zu adaptieren.

Ein wesentlicher Meilenstein war die Entwicklung eines KI-basierten Vorschlagssystems zur automatisierten Auswahl und Konfiguration orthopädischer Behelfe, insbesondere im Bereich der Schuheinlagenversorgung. Auf Basis pedobarographischer Scans und zugehöriger Korrektive konnte ein lernfähiges System implementiert werden, das auf neuronalen Netzwerken (CNN-Architekturen) basiert und in der Lage ist, geeignete Korrektive automatisch vorzuschlagen. Dieses System wurde während der Projektlaufzeit kontinuierlich verbessert.

Parallel dazu wurde ein 3D-Konfigurator entwickelt, der Orthopädietechniker:innen bei der digitalen Modellanpassung unterstützt. Der Konfigurator integriert sowohl den KI-gestützten Vorschlag als auch eine intuitive Benutzeroberfläche für manuelle Eingriffe und Korrekturen. Grundlage der Software bildet eine Microservice-basierte Architektur mit GraphQL-Schnittstellen, welche eine modulare Erweiterbarkeit sowie die Integration externer Komponenten sicherstellt. Für die Datenhaltung wurde ein multimodaler Ansatz gewählt, der sowohl relationale Daten (z. B. Patient:inneninformationen) als auch unstrukturierte 3D-Daten effizient verarbeiten kann.

Im Rahmen des Projekts wurden auch wesentliche Fortschritte in der elastischen Formanpassung erzielt. Hierbei wurde ein Algorithmus entwickelt, der patientenspezifische Geometrien automatisch an digitale Orthesenmodelle anpasst. Unter Verwendung baryzentrischer Koordinatensysteme konnten erstmals Anpassungen unter Berücksichtigung der Materialstärke und Oberflächenbeschaffenheit realisiert werden. Diese Methode bildet die Grundlage für die präzise, automatisierte Individualisierung orthopädischer Hilfsmittel.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Integration von Sensorik zur Analyse der Passform und Belastungsverteilung. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem ersten Projektpartner konnte die Zusammenarbeit mit Silicon Austria Labs (SAL) etabliert werden, wodurch wesentliche technologische Fortschritte erzielt wurden. SAL entwickelte flexible, gedruckte Sensoren, die in orthopädische Hilfsmittel integriert werden können. Diese Sensorik ermöglicht die Erfassung von Druck- und Belastungsverteilungen in Echtzeit und bildet damit eine wichtige Grundlage für zukünftige Feedbacksysteme im orthopädietechnischen Alltag.

Ergänzend dazu wurde eine klinische Pilotstudie zur Evaluierung von 3D-gedruckten Skoliose-Orthesen initiiert. Nach positiver Bewertung des Ethikantrags durch die Medizinische Fakultät der JKU Linz konnte die Studie in Zusammenarbeit mit dem Praxispartner Orthovida gestartet werden. Ziel der Studie ist der Vergleich konventionell gefertigter und additiv hergestellter Orthesen im Hinblick auf Passgenauigkeit, Tragekomfort und funktionelle Wirksamkeit. Die praktische Umsetzung wurde während der Projektlaufzeit begonnen und wird über das Projektende hinaus fortgeführt, um belastbare Ergebnisse zu gewinnen.

Die inhaltliche Qualität und wissenschaftliche Relevanz der Projektergebnisse spiegeln sich in mehreren Publikationen auf internationalen Konferenzen wider. Insgesamt wurden fünf wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die sich mit den Themen KI-basierte Klassifikation, digitale Anpassung orthopädischer Behelfe, Domain-Driven Design in der Softwareentwicklung und Prozessautomatisierung in der Orthopädietechnik befassen.

Darüber hinaus wurden im Rahmen des Projekts wesentliche Beiträge zur Benutzerfreundlichkeit und Usability der entwickelten Systeme geleistet. Durch enge Zusammenarbeit mit Pilotkund:innen – darunter die Firmen Luttermann, Orthovida und Teufel – konnten wertvolle Rückmeldungen aus der Praxis integriert werden. Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurde eine umfassende Usability-Studie vorbereitet, die nach Projektende durchgeführt wird, um die Gebrauchstauglichkeit des Systems anhand standardisierter Verfahren (NASA-TLX, SUS) quantitativ zu bewerten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die im Projekt definierten Ziele weitgehend erreicht wurden. Die entwickelte Softwareplattform AIDDDO stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung einer digitalisierten, automatisierten Orthopädietechnik dar. Die erzielten Ergebnisse bilden eine solide Grundlage für die weiterführende Produktentwicklung, klinische Validierung und spätere wirtschaftliche Verwertung.



Das Projekt leistet einen nachhaltigen Beitrag zur technologischen Modernisierung der Orthopädietechnik:


Ökologisch, durch ressourcenschonende additive Fertigung und reduzierte Materialabfälle.
Ökonomisch, durch Effizienzsteigerung und verkürzte Produktionszeiten.
Sozial, durch individualisierte, passgenaue Hilfsmittel und verbesserte Patientenversorgung.


Insgesamt zeigt das Projekt, dass die Kombination aus KI, 3D-Technologien und sensorischer Rückkopplung neue Standards in der orthopädietechnischen Versorgung ermöglichen kann. Die erzielten Resultate schaffen eine fundierte Basis für weitere Forschung, klinische Studien und eine zukünftige Implementierung in der orthopädischen Praxis.