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Antisemitismus in der Schule - Perspektiven von Betroffenen und Case Management Strategien

Programm / Ausschreibung KIRAS, F&E-Dienstleistungen, KIRAS F&E-Dienstleistungen 2022 Status laufend
Projektstart 01.09.2023 Projektende 31.10.2025
Zeitraum 2023 - 2025 Projektlaufzeit 26 Monate
Keywords Antisemitismus, Schule, Perspektiven Betroffener, Case Management Strategien, Kooperative Forschung

Projektbeschreibung

Das innovative Projekt schließt eine Wissens- und Datenlücke in Hinblick auf Forschung zu Antisemitismusprävention und zu professionellen Reaktionen auf Antisemitismus im schulischen Kontext. Auf Basis einer multimethodischen empirischen Untersuchung von Erfahrungen jüdischer und von Antisemitismus betroffener Schüler*innen im institutionellen Kontext Schule werden von den Projektpartnern des Konsortiums zudem professionelle Handlungsweisen und Case Management Strategien entwickelt und in einer einjährigen Pilotphase mit ausgewählten Partnerschulen erprobt. Nach Ende der Projektlaufzeit steht ein wissenschaftlich fundiertes und im Schulalltag bereits erprobtes Basis-Set an Case Management Strategien für den Schulbereich zur Verfügung. Pädagog*innen, Schulmanager*innen und weitere Stakeholdergruppen erhalten ein Handbuch in Printversion und in elektronischer Form, das auch weiterhin adaptiert werden kann. Eine interaktive Plattform zum laufenden Austausch über Erfahrungen mit den erarbeiteten Case Management Strategien sowie zum Finden neuer Ideen und Verbesserungsvorschläge wird vom Projektkonsortium über das Ende der Projektlaufzeit hinaus weiter betrieben.

Abstract

The innovative project closes a knowledge and data gap with regard to research on anti-Semitism prevention and on professional reactions to anti-Semitism in the school context. On the basis of a multi-method empirical study of the experiences of Jewish students and students affected by anti-Semitism in the institutional context of school, the project partners of the consortium are also developing professional courses of action and case management strategies and testing them in a one-year pilot phase with selected partner schools. At the end of the project's lifecycle, a scientifically sound basic set of case management strategies for schools that has already been tried and tested in everyday school life will be available. Educators, school managers and other stakeholder groups receive a handbook in print version and in electronic form, which can continue to be adapted. An interactive platform for the ongoing exchange of experiences with the developed case management strategies as well as for finding new ideas and suggestions for improvement will be continued by the project consortium beyond the end of the project period.

Endberichtkurzfassung

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

Kontextfaktoren

Antisemitismus wird im Unterricht weit überwiegend in historischer Perspektive mit Fokus auf den Nationalsozialismus behandelt. Dabei ergeben sich insbesondere im Rahmen von Gedenkstättenbesuchen schwierige Erfahrungen für jüdische Schüler:innen, da Lehrpersonen häufig nicht adäquat auf die unterschiedlichen Hintergründe der Schüler:innen und die spezifischen Betroffenheiten jüdischer Schüler:innen eingehen können.

Aktuelle jüdische Perspektiven sind im Unterricht und im Bewusstsein (auch) der Lehrpersonen generell marginalisiert (vorherrschende Annahme, dass keine Jüdinnen und Juden anwesend wären), was einen adäquaten, opferzentrierten Ansatz im Umgang mit antisemitischen Vorfällen erschwert.

Ein angemessener Umgang mit der Verknüpfung von online- und offline-Erfahrungen stellt für Schulen eine Herausforderung dar. Insbesondere bei Drohungen über Social Media, die das Sicherheitsempfinden jüdischer Schüler:innen auch im physischen Raum der Schule beeinträchtigen, werden Schulen ihrer Verantwortung, für die Sicherheit aller Angehörigen der Schule zu sorgen, häufig nur unvollständig gerecht.

Generell ist der Umgang mit neuen Formen des Nachrichtenkonsums auf Social Media (scrollen, statt bewusster Auswahl von Nachrichten bzw. Nachrichtenquellen) schwierig. Fact Checking u.ä. Formen von Critical Media Literacy sind notwendig, aber nicht ausreichend, um Schüler:innen für die emotionalisierende Wirkung von Social Media zu sensibilisieren.

Veränderungen seit dem 7. Oktober 2023

Sowohl die Zahl antisemitischer Übergriffe bzw. von Hassrede (online und offline) wie auch deren Intensität und Aggressivität sind deutlich gestiegen.

Jüdische Schüler:innen erleben „Othering“ und werden als vermeintliche „Repräsentant:innen“ Israels betrachtet und als solche angegriffen, worauf Betroffene mit ganz unterschiedlichen individuellen Strategien reagieren.

Das Empfinden von Unsicherheit und Angst – im öffentlichen Raum, aber auch in den Schulen – ist stark gestiegen. Eine häufige Folge davon ist das Verstecken der jüdischen Identität.

Als für direkte und v.a. physische antisemitische Angriffe verantwortlich werden aktuell v.a. Mitschüler:innen mit muslimischem Hintergrund wahrgenommen. Antisemitische Aussagen (v.a. israelbezogener Antisemitismus) werden zudem bei politisch links orientierten Mitschüler:innen, aber auch bei Lehrer:innen wahrgenommen.

Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass die These einer „Ablösung“ des traditionellen rechtsgerichteten und mit dem nationalsozialistischen Erbe verbundenen Antisemitismus durch einen „neuen“ muslimischen und linken Antisemitismus bei weitem zu kurz greift.

Kontinuitäten

Aktuelle Formen des (israelbezogenen) Antisemitismus werden in Österreich im Rahmen tradierter antisemitischer Stereotype und bereitstehender Diskursfragmente aktualisiert.

Israelbezogene Mythen verbinden sich mit traditionellen antisemitischen Narrativen, die sowohl aus dem christlichen wie auch dem völkischen bzw. nationalsozialistischen Antisemitismus übernommen werden (z.B. „Kindermord“, die Shoah relativierende oder -verherrlichende Memes etc.).

Das Narrativ des angeblichen „kolonialen Gebildes“ Israel, dem ein „autochthones palästinensisches Volk“ gegenüberstehe, aktualisiert völkische Mythen, die Juden und Jüdinnen als Nicht-Zugehörige und Feinde aller „natürlichen“ europäischen Völker imaginier(t)en.

Der sogenannte „neue“ Antisemitismus re-artikuliert damit „alte“ antisemitische Narrative und Stereotype und baut auf dem Repertoire des „traditionellen“ Antisemitismus auf. Die Forschung zeigt deutlich, dass dem insbesondere die breite Normalisierung dieser Narrative, Stereotype und Symbole zu Grunde liegt, die sich v.a. in der Klassifikation von Antisemitismus (u.a. Hakenkreuz-Schmierereien, „Witze“) als Provkation oder als Scherz zeigt.

Empfehlungen

Dem aktuellen Antisemitismus muss – auch in seinen israelbezogenen Erscheinungsformen – entschieden entgegengetreten werden, wozu die im Projekt entwickelte Handreichung mit konkreten Empfehlungen für Lehrpersonen und Schulmanager:innen einen Beitrag leistet.

Dabei darf Antisemitismus nicht als Problem von migrantischen Gruppen oder Muslim:innen externalisiert werden, sondern muss als Problem der ganzen österreichischen Gesellschaft in seiner Traditionsbezogenheit wahrgenommen und thematisiert werden.

Damit kann zwei aktuellen Problematiken begegnet werden:


Der Tendenz Antisemitismus zu einem Problem „zwischen zwei Minderheiten“ zu machen. Ein gesamthaftes Verständnis, das die österreichische Gesellschaft und Geschichte insgesamt in den Blick nimmt, bildet im Schulkontext eine Basis für die Wahrnehmung von Antisemitismus als Gewalt (statt als bloßer Konflikt) und die Entwicklung entsprechender Strategien.
Der Tendenz nur die aggressivsten Formen antisemitischer Übergriffe als solche zu verstehen, während andere Formen („Witze“, NS-Symbole, israelbezogener Antisemitismus etc.) als Provokation verharmlost werden. Insbesondere ist der Tendenz entgegenzutreten, Antisemitismus nur dort anzuerkennen, wo (der Schule bekannte) jüdische Schüler:innen anwesend sind. Demgegenüber ist deutlich zu machen, dass gerade die Normalisierung antisemitischer Aussagen den Boden für direkte verbale und physische Gewalt bildet.